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Bericht Auslandpraktikum in Nepal, Lea Hitz, PHGR

Unerwartet musste ich alleine nach Nepal reisen. Die zweite Studentin hat die Reise kurzfristig abgesagt. Mit sehr gemischten Gefühlen verabschiedete ich mich am Flughafen in Zürich. Was wird mich in Nepal wohl erwarten? Über Muskat flog ich nach Kathmandu.

Angekommen in Kathmandu fragte ich mich: Bin ich tatsächlich noch auf demselben Planeten? Mein Kulturschock war gross. Jeden Tag staunte ich aufs Neue, wie die Nepali denken, leben, arbeiten und essen. Wie eine Anfängerin musste ich lernen die Strasse zu überqueren. Es schien mir unmöglich und lebensgefährlich. Da kommen einem überfüllte Busse, überladene Lastwagen, unzählige Taxis, hunderte von Mofas und Velos entgegen. Mit der Zeit lernte ich, mich von einer Strassenseite zur anderen zu schmuggeln. Das Leben spielt grösstenteils auf den Strassen. Draussen wird gekocht, gehandelt, Tiere geschlachtet und gemeinsam Zeit verbracht.

Der erste Eindruck einer nepalesischen Schule war ernüchternd. Bereits Dreijährige besuchen die Schule und müssen das Alphabet lernen. Die Kinder wirkten eher eingeschüchtert. Es gab auch wunderschöne Momente, wenn sie morgens die Nationalhymne sangen oder einem ein Lächeln schenkten. An der Vidhya Sagar English Secondary School in Banepa verbrachte ich die ersten zwei Wochen. Ich unterrichtete einige Klassen in Mathematik und besuchte zahlreiche Lehrpersonen mit dem Ziel, ihnen ein konstruktives Feedback zu ihrem Unterricht zu geben. Während dem Unterrichten war es traurig zu spüren, wie unselbständig die Kinder sind. Meist sagen die Lehrpersonen den Kindern alles vor und diese müssen es anschliessend auswendig lernen. In meinen Lektionen versuchte ich den Kindern Anerkennung zu schenken und die Inhalte zu veranschaulichen. Ein Kind gab mir eine herzerwärmende Rückmeldung: Mam’, you explained it so clearly, please come again! Die Dankbarkeit der Kinder war wunderschön.

Nach einem Wochenende in Kathmandu, wo ich zwei eindrückliche Tempelanlagen bestaunen durfte, ging die Reise weiter zur zweiten Schule in Dhandadhi. Dhangadhi liegt ganz im Westen von Nepal. Die Reise dorthin dauerte lange und führte über abenteuerliche Strassen. Holprig ist nur das Vorwort. Besonders ein Strassenabschnitt zwischen Mugling und dem Terrai (Tiefland) führte steilen Felsen entlang. Riesige Busse und Lastwagen kamen uns entgegen. Besonders auf den Brücken war mir nicht mehr guten Mutes, es fehlten bloss wenige Zentimeter bis zum Abgrund. Auf dem Weg sah ich viele Affen, zwei Krokodile, unzählige Ziegen, Schafe und Kühe. Die Leute wohnen in den ländlichen Gebieten in kleinen, einfachen Holz-Lehm-Hütten. Von Strom und fliessend Wasser ist keine Rede. Sie leben ausschliesslich von der Landwirtschaft – grösstenteils Selbstversorger. Man fühlt sich 100 Jahre zurückversetzt. Die Waren werden auf Ochsenwagen transportiert und die Felder von Hand bewirtschaftet. Unglaublich!

Der Empfang an der Stepping Stone School in Dhangadhi war rührend. Alle 1600 Schülerinnen und Schüler standen bereit, bewarfen uns mit Blütenblättern und beschenkten uns mit unzähligen Blumenketten. Dieses Spektakel liess die lange Reise direkt in Vergessenheit geraten.

An dieser Schule hospitierte ich vorwiegend in der Mittelstufe. Auch hier war das Ziel die Lehrpersonen mit hilfreichen Tipps zur Methodik und Didaktik zu unterstützen, denn viele haben selbst keine Ausbildung als Lehrperson. Nebst den Schulbesuchen bot ich Workshops zu den Themen "Motivation", "group work" und "role play" an. In den Workshops versuchte ich mit den Lehrpersonen Aktivitäten, Lieder, Spiele und Unterrichtsmethoden zu erarbeiten, die sie danach auf ihren Unterricht adaptierten könnten. Ich musste die Erfahrung machen, dass nur wenige wirklich gewillt sind, nachhaltige Veränderungen zu implementieren. Trotzdem traf ich einige, vor allem junge Lehrpersonen, die sehr interessiert waren. Gemeinsam lernten wir neue englische Lieder, führten bei einigen Klasse Sudokus und neue Sprachspiele ein. Mit einer 6. Klasse übte ich eigene Sätze zu schreiben - ohne abschreiben. Das war für die Kinder sehr fremd, doch sie mochten es. Meist waren sie bei neuen Aktivitäten mit viel Eifer dabei, was dann zu sehr lebendiger Stimmung führte. Es ist eine echte Herausforderung eine Klasse mit bis zu 50 Kinder sinnvoll zu unterrichten.

Die Rückreise nach Kathmandu führte über eine andere Rute entlang der Himalayaregion. Leider versteckten sich die höchsten Bergspitzen der Welt hinter dichten Wolken. Während der Fahrt hatte ich Zeit, in meinen Gedanken zu schwelgen. Das Auslandpraktikum hat mich in verschiedenen Bereichen gefordert. Man wusste nie, was einen am nächsten Tag erwartet. Mal wurde gestreikt, mal fiel eine Lehrperson aus und ich musste spontan einspringen. Mit der Zeit wurde ich immer flexibler und spontaner. Daneben wird man mit Dingen konfrontiert, von denen man am liebsten wegschauen würde. Noch immer gibt es in Nepal viele Kinder, die nicht zur Schule gehen. Eigentlich wären 5 Schuljahre obligatorisch, doch es wird nirgends kontrolliert und die Zustände in den öffentlichen Schulen sind erbärmlich. Ich sah zweimal, wie ein Kind von der Lehrperson geschlagen wurde – das machte mich wütend! Nebst dem weniger Schönen in Nepal, habe ich unendlich viele lustige Dinge erlebt. Wir feierten Feste mit lauter Musik und Tanz. Ich durfte traditionelle Kleider anprobieren – ein Sari und ein Rock aus der Hili Region. Mit zwei jungen Lehrerinnen führte ich extrem interessante Gespräche. Sie erklärten mir ihre Kultur, zeigten mir ihre Familien, Häuser und Traditionen und ich gab ihnen Einblicke in unsere Lebensweise – das war spannend.

Mein Auslandpraktikum in Nepal - was für ein Erlebnis, Abenteuer und Lebenserfahrung zugleich! Ich schätze mich sehr glücklich, diese Chance bekommen zu haben. Aus der Zeit in Nepal nehme ich wertvolle Erfahrungen für meinen zukünftigen Lehrberuf, sowie fürs ganze Leben mit. Ich danke der Pädagogischen Hochschule Graubünden, sowie Dora und Urs Frey ganz herzlich für diese spannende und lehrreihe Erfahrung.

Lea Hitz, Chur, 30. Dez. 2017